Und ganz gleich, was ich in all den letzten Jahren auch
versucht habe, ich konnte ihm nicht entkommen. Niemand entkommt Weihnachten.
Dem Finanzamt vielleicht, sogar der Ehe oder den Zeugen Jehovas mag hin und
wieder jemand entwischt sein, aber all meine Versuche, dem Weihnachtsfest aus
dem Weg zu gehen, sind jedes Jahr wieder kläglich gescheitert. Ganz gleich
wohin meine Flucht führte, wenn ich dort ankam, war dennoch Weihnachten.
Jeder, der über einen festen Wohnsitz verfügt, hat in der
Vorweihnachtszeit irgendein Lichtlein am Adventkranz, dem Tannenbaum oder auch
einfach nur auf dem Tisch. Bei mir hingegen leuchtet in diesem Jahr lediglich
die Deckenlampe. Nun, offen gestanden ist es noch nicht einmal mehr eine Lampe
sondern vielmehr nur noch eine Glühbirne in einer Fassung mit einem Kabel dran.
Die eigentliche Lampe wurde bereits von denselben Leuten abgeholt, die auch
meine Küche, meine Gardinen und den Esstisch in ihren LKW geladen haben.
Von Weihnachten findet sich also in unserer derzeitigen
Behausung wirklich keine noch so winzige Spur. Und obwohl wir seit dem letzten
Weihnachtsfest unseren Kindern predigen, dass in diesem Jahr ein Umzug und
nicht das Christkind vor der Tür steht, kam vor einigen Tagen die
obligatorische Frage meiner Tochter: „Was bekomme ich eigentlich zu
Weihnachten?“
„Nichts“, lautete meine schlichte Antwort und ich erntete
ein entrüstetes Schnauben, so als hätte sie noch gar nicht bemerkt, dass wir
beabsichtigen in ein neues Haus zu ziehen. Natürlich muss man so eine
unbefriedigte Sehnsucht irgendwie stillen. Lebkuchen und Glühwein reichen dafür
meistens nicht aus. Wie Milliarden anderer Frauen, kompensiert es meine Tochter
mit Shopping. Wenn sie schon kein Weihnachtsgeschenk erhält, dann doch
wenigstens ein Vorweihnachtsgeschenk. Ein neues Handy vielleicht, oder … Schuhe
… oder doch lieber ein Handy?
Meine Einwände, dass sie ein Bett und einen Schrank benötigt,
weil sie auf Schuhen nicht schlafen kann und ihre Kleidung nicht ins Handy
passt, ignoriert sie geflissentlich. Nun überlege ich ernsthaft, ob ein
Hörgerät oder eine Flüstertüte diesem Umstand Abhilfe schaffen könnte. Ich
komme mir inzwischen schon vor wie eine Langspielplatte, die immer und immer
wieder den gleichen Satz abspielt: „Dieses Jahr gibt es keine
Weihnachtsgeschenke und keine Vorweihnachtsgeschenke und keine Adventsgeschenke
und schon gar keine Ausnahmen dieser Regelung“.
Gestern am späten Abend schien dieser Satz endlich zu ihr
durchgedrungen zu sein, denn sie fragte beim Zubettgehen: „Bekomme ich
vielleicht zu Ostern eine Playstation4?“
Ich bin froh, dass es bei uns in diesem Jahr kein
Weihnachten gibt. Uns bleibt so wirklich vieles erspart wie z.B. Mütter, die heulend Nervenzusammenbrüche bekommen,
beim Versuch, den Heiligen Abend ganz besonders schön zu gestalten, Familien, die sich zerstreiten, weil sich tatsächlich
jemand an die Abmachung hält, "sich dieses Jahr einmal nichts zu
schenken", und Menschen, die sich voller Pein über Toilettenschüsseln
krümmen, weil sie sich maßlos überfressen haben.
Himmlisch, diese Ruhe, die uns erwartet.
Das neue Häuschen wächst übrigens stetig.
Bürgersteig und Parkplätze sind fertig. Ebenso meine
Terrasse. Im Gäste-WC befinden sich die ersten Fliesen an der Wand und eine
Badewanne besitzen wir auch schon.
Es sieht wirklich ganz stark danach aus, dass der Bauträger
uns das Häuschen noch vor dem Jahreswechsel übergeben möchte. Allerdings gibt es da ein klitzekleines
Problemchen: Einen Schlüssel erhalte ich
nur nach vollständiger Zahlung. Zahlen kann ich aber nur nach Erhalt einer
Rechnung. Und hier kommt Murphy ins Spiel, denn bisher habe ich noch keine
einzige Rechnung erhalten.
Niemals hätte ich geglaubt, dass ich einmal um eine Rechnung betteln würde. Aber genau
das mache ich seit ein paar Tagen – telefonisch, per Mail und wieder
telefonisch … Aber mein Postkasten
bleibt leer. Am letzten Donnerstag erhielt ich die Ankündigung, dass die
Rechnungen „raus“ seien. Angekommen ist bei mir jedoch noch nichts. Das muss
allerdings nicht zwingend an Vista liegen, denn in Belgien benötigte zum
Beispiel eine Postkarte unglaubliche 83 Jahre, bis sie endlich ihr Ziel
erreichte. Ein Soldat hatte diese Karte im Jahr 1926 in Brüssel aufgegeben und
sie zu seiner Familie nach Opbrakel geschickt, ein Ort, der etwa 50 Kilometer
von der belgischen Hauptstadt entfernt liegt. 2009 traf sie endlich ein. Der
Soldat konnte sich aber nicht mehr darüber freuen. Er starb im Jahr 2003 im Alter von 97 Jahren.
In diesem Sinne allen einen schönen Dienstag.